Terminal-Phase

Terminal-Phase

Terminal-Phase
Es ist wie geplant,
das Reisegepäck an unserer Seite.
Für Zurückbleibende ist alles
gesagt,
die wichtigen Botschaften
reduzieren sich
auf das Einfache.
Eingecheckt
haben wir schon lange.
Doch da im Transitraum
eine Musik
längst vergessen, ergreift sie uns
und wir fragen,
warum gerade jetzt
losfliegen?

Keine Krebstoten mehr, bitte!

Ich meine damit  nicht die Mütter, Väter, Brüder, Schwestern und Angehörigen meiner Freunde. Deren Geschichten ich miterlebt habe oder schon seit Jahren kenne. Die zu ihnen gehören und von denen ich schon vor meiner eigenen Diagnose wußte. Von denen ich  auch jetzt noch gerne höre, weil ich wissen möchte, was das alles mit meinen Freunden macht und weil ich die Nähe zu ihnen sehr genieße. Da gehören auch diese Toten rein. Egal ob sie durch Krebs oder anderes gestorben sind.

Ich meine die Krebstoten, von denen ich jetzt ungefragt erfahre. Von Menschen, mit denen ich in diesem Augenblick nicht viel mehr gemein habe, als dieses Thema: Krebs bzw. Tod durch Krebs. Schönes Thema. Na danke auch! Mir reicht’s jetzt! Glauben die wirklich, das ist eine gute Idee? Vom „schönen Sterben“ zu hören, vom tollen „loslassen können“, von der tollen „Überlebenszeit angesichts des Todes“ und davon „wie positiv kämpferisch sie eingestellt war – bis sie am Ende doch gestorben ist“?

Ich weiß, dass ich irgendwo hier im Blog an anderer Stelle davon gesprochen habe, dass die Leute ihre Krebstoten rausholen, wenn sie mit mir sprechen. Weil ja Krebs auch ein Riesenthema sei und viele Leute betrifft. Damals hatte ich noch „Verständnis“ dafür. Und „verstehen“ kann ich’s auch heute noch. Aber die Großzügigkeit mit den Ängsten der anderen geht mir flöten, in dem Maß, in dem ich meine eigenen Ernst nehme. Und ich habe keine Lust eine Art  Psychohygiene mit mir betreiben zu müssen – nur damit andere ihre Geschichten ablassen können. Die sie – und das ist so klar in diesem Moment – eigentlich nur erzählen, um ihre eigenen Ängste zu besänftigen. Auch um zu erzählen, wie es vielleicht „gut“ oder „ratsam“ wäre mit dem allen umzugehen. Etwas, an dem sie sich in dem Moment festhalten, das ihnen das Gefühl von Kontrolle gibt – aber selbstverständlich auch die Botschaft enthält, dass man dann auch irgendwann mal daran stirbt. Denn das tut man doch, oder nicht? – Muss ein gutes Gefühl sein, wenn der Tod nur den anderen droht.

Ich habe dann noch allen Ernstes drüber nachgedacht, ob ich meiner eigenen Todesgefahr ausweiche, wenn ich davon nichts hören will.- Als seien so nebenbei erwähnte Krebstote ein guter Moment, sich damit auseinander zusetzen. Oder als sei das irgendeinem „Realismus“ geschuldet von ihnen zu hören.

Nun – diese Begegnungen mit meinem Tod, meiner persönlichen Todesgefahr und meinen Ängsten finden woanders statt. Sie sind etwas sehr Intimes (genau so wie auch bei allen, die gerade keinen Krebs haben, auch).  Sie haben selbst jetzt nicht viel mit der Erwartung zu sterben zu tun, sondern mit Ängsten. Ob und was ich hier davon berichte, entscheide ich von Mal zu Mal. Und ich finde, selbst so einen Satz / so eine Prüfung: „Würde ich diesen Satz auch schreiben, wenn ich wüßte, dass ich in einem halben Jahr tot bin?“ – kann ich mir in Zukunft sparen. Ich bin tatsächlich niemandem Rechenschaft schuldig. Und ich muss alles Positive in meinem Leben nicht diesem Lackmus-Test unterwerfen, weil ich mit dieser Erkrankung lebe.

Da wo es dunkel ist, ist es dunkel. Und da wo es hell ist, darf es auch hell bleiben.

Das Lied…

…das ich JETZT nicht ertrage. Das mich wütend macht. Und wütend traurig. Das ich verlogen finde, voll falschem Romantizismus,  mit verbrämter schlaffer Zeit-Totschlägerdummheit. Und dessen Zeilen – manche – mich trotzdem fies ins Mark treffen und sofort zum Heulen bringen, obwohl ich nicht will, obwohl ich ums Verrecken nicht will. Und genau weiß, dass ich es falsch und anders verstehe als es geschrieben, gemeint, gesungen ist. Das Lied singt nicht über den Tod. Er singt nicht über den Tod. Ich aber schon. Obwohl ich nicht will, ums Verrecken nicht will. Und hier vergeht kein Jahr ums Jahr mehr. Nie mehr. Dieser Scheiß-Luxus ist mir gerade abhanden gekommen.

Heute hier, morgen dort,
bin kaum da, muss ich fort,
hab‘ mich niemals deswegen beklagt.

Mail an einen Freund

Im Folgenden ein Auszug aus einer Mail von heute an einen Freund. Da stehen Dinge drin, die ich schon zu manchen gesagt/geschrieben habe und vielen hier auch gerne sagen möchte.

Lieber R.,

Natürlich bin ich mit dieser Krankheit in gewisser Weise „todgeweiht“  und meine Endlichkeit ist lautstark eingeläutet – gleichzeitig hat das im Augenblick für mich nur begrenzte konkrete, alltägliche Bedeutung. Ist wie eine Basslinie, die ganz von ganz unten einen Grundton vorgibt. Das ist viel und bedeutsam, aber auf das Gesamte hin betrachtet NUR eine von vielen Stimmen. Und oft nicht die Lauteste.

Mein Leben fühlt sich auch nicht nach einem Kampf dagegen, gegen den Tod an. Es fühlt sich jetzt meistens sehr friedlich an und dann auch gleichzeitig aufregend und abenteuerlich….

 

Und wissen, wer von uns hier schlussendlich als erstes zu gehen hat – tun wir nicht….

Schatten der Nacht

Gestern abend bin ich an meinem letzten Abend im Krankenhaus ausgebüchst und war Zuhause. Im Garten konnte ich endlich die Tränen weinen, die ich schon den ganzen Tag zurückgehalten hatte. Wir haben unter dem Walnussbaum gegessen und uns ein Matratzenlager neben dem Beet mit der Pfingstrose, der sibirischen Iris und dem Frauenmantel eingerichtet. Wir sind eingeschlafen.

Sterben, Tod. Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich keine Angst vor dem Tod habe. Nicht an sich. Ich halte es für ein großes Abenteuer und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass mich nur Gutes erwartet. Aber trotz diesem grundsätzlichen Statement, diesem grundsätzlichen Wissen, diesem Glauben, dieser Überzeugung, zu der mich auch das Todesgesicht meiner Mutter geführt hat – trotz all dem öffnet sich jetzt vor mir eine breite Straße, ein Weg der Erfahrungen. Ich werde in den nächstem Monaten noch viele Erfahrungen mit dem Tod machen – und sie werden sich in der gesamten Bandbreite der Gefühle und menschlichen Erfahrung entfalten – völlig unabhängig von meinen Überzeugungen.

Gestern waren es dann die Schatten der Nacht, die plötzlich so nahe rückten…