Flockenheimat-Prosa:

DIE SCHMERZTIERE
Wenn der Alltag gut läuft, halten sie sich versteckt. Nur manchmal bemerke ich das bittere Ziehen. Ich kann es nicht lokalisieren. Ist es im Bauch? Im Zwerchfell? Ums Herz herum verspüre ich es auch – manchmal. Dieses unablässige Nagen ist nicht stark – wie von einem kleinen Tier.
Es wird wachsen das Tier. Vielleicht hat es sich vermehrt? Jedes nagt an einer anderen Stelle. – Das wäre eine Erklärung, warum mein Schmerz nicht an derselben Stelle entsteht. Magenschmerz. Rückenschmerz, Gedankenschmerz. Wandernder Kopfschmerz … verstummt und krampft plötzlich zwischen Gesäß und Oberschenkel.
Dann melden sich Schmerztiere, die den Darm queren und reißen alles mit sich. Wenn ich mich lange genug krümme, lassen sie nach, als seien sie zufrieden.
Wenn ich Sport treibe, halten die Schmerztiere überrascht inne, sie haben Respekt vor meinem wütenden Kreislauf. Und mein einsetzender Muskelschmerz raubt ihnen zeitweise die Existenz. Ihr neuronales Nagen verstummt. – Nicht für immer, aber für eine gute Zeit.
Wenn ich nach Worten suche, um die Verrücktheit unseres Lebens auszudrücken, schweigen die Schmerztiere erwartungsvoll. Sie sind eitel. Sie freuen sich über jedes Wort, was ich für sie finde. Ist es ein Pakt, den ich mit ihnen eingehe, damit ich mich schmerzfrei um Elke kümmere? Jedes Wort, was ich den Schmerztieren widme, macht sie friedlich. Ich gebe Worte in Zahlung.

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Momente

Elke schläft ruhig. Nur ab und an ziehen Schmerzimpulse in die Beine. Manchmal geht das dann in stärkere Krämpfe über und ich drücke die Bolustaste.  

Allein kann Elke sich im Bett nicht mehr aufrichten. Am Wochenende konnte sie noch im Rollstuhl frei sitzen, aber seit heute Morgen sind die Schmerzen beim Hinsetzen zu heftig (trotz Schmerzmittel), dass wir ab jetzt wohl die Körper-Pflege direkt im Bett machen müssen.

Ein paar Tage lang hatten Elke und ich ein schönes Körper-Ritual gefunden. Dieses „Sich-mit-meiner-Hilfe-auf-die-Bettkante-setzen-und-aufstehen“.
 Ich musste Hüfte und Schultern möglichst parallel halten – ein wenig konnte sie den Bewegungsablauf mit eigener Muskelkraft unterstützen… – wir waren eingespielt in diesem vorsichtigen Miteinander  – und es gab überraschend viel Zärtlichkeit, wenn sie dann in einer schläfrigen Balance auf der Bettkante saß, wenn sie den Arm über meine Schulter legte, wenn ich vorsichtig meine Hand unter ihren Po schob, um sie hochzuheben … wenn es dann gelang … wenn wir aneinander gelehnt standen, schwankend aber stabil … (Elkes Beinmuskeln hielten ihren Körper kaum noch) aber die leichte Drehung zum Toilettenstuhl gelang … Elke legte ihren Kopf an meinen Hals, drückte mir einen Kuss auf die Haut, leicht und weich.

Und ich verharre … –

Samstagnacht und Sonntag

Kassettenwechsel. Danach schläft Elke sogar beruhigt ein. Morgens (Sonntag) sind die Schmerzen nicht mehr so stark, aber gegen 10 Uhr gehts wieder los, Schmerzkrämpfe in Richtung der Beine. Gottseidank ruft die Ärtin an, fragt von sich aus nach. – Dann lässt sie endlich die Basisdosis erhöhen. Endlich nicht mehr die Bolustaste drücken müssen…. Seitdem schäft Elke tief, endlich schmerzfrei. Habe sie (abends) gerade so wachgekriegt, um ihr die anderen Medikamente zu geben und etwas Flüssigkeit einzuflößen… Sie schläft wohl bis Morgen früh durch, vielleicht ganz erhohlsam, vielleicht regneriert sich der Körper etwas. Montag soll die Medikation geprüft werden. Es wir wohl noch ein weiteres Schmerz-Mittel geben, hat die Ärztin angekündigt. – Ich hab nur noch bescheidene Wünsche, wenigsten schmerzfrei soll Elke bleiben, auch wenn sie vielleicht nicht mehr richtig gehen können wird.

SCHMERZ

… ist dein Gang
den ich stütze.

Schmerz,
das ist der
von dem ich vieles weiß:

niederes Neuronengezerre,
verzweigt-verzweifelte
Hirnaktivität
phamtomhaft
und doch real
das Weh zur Unzeit.

Schmerz ist,
wenn du gehen musst
und ich
dich begleite.